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Markus Ambach
Nach der Natur
ReprÄsentationen von Natur
im stÄdtischen Kontext
Städtische Räume sind heute mehr denn je von spezifischen Nutzungen geprägt. Hinter dem strukturellen Raster der Stadt verbergen sich politische Ordnungen, kulturelle Prägungen und sie konstituierende Repräsentationsansprüche. Europäische Metropolen sind gezeichnet von ihrer religiösen Geschichte und speziell von den ökonomischen Haltungen, die vom Christentum über Reformation und Protestantismus im Kapitalismus säkularisiert wurden. Bei der Betrachtung der Formen, in denen wir Natur im gesellschaftlichen Umfeld repräsentieren – in Gärten, Parks und Zoos – erscheint nicht nur der Kolonia-lismus als verweltlichte Form christlicher Missionsmythologien im Fokus, sondern auch der Wille zur Beherrschung und Umarmung der ganzen Welt, die sich heute mit den kapitalistisch organisierten Märkten in der sogenannten Globalisierung realisiert.
Der Anspruch, ungeachtet der Interferenzen mit fremden Kulturen als Heilsbringer für den ganzen Globus aufzutreten, erscheint als westlich geprägter Kulturansatz, der unvermittelt über die ganze Welt gestülpt wird.
Ging der kulturellen Expansion früher der Pionier und Eroberer voraus, hat sich heute die im Kolonialismus eingeführte Technik des Im- und Exports durchgesetzt. In der Folge der wissenschaftlichen Sammlungen, Museen und Wunderkammern, aber auch des internationalen Warenhandels entwickelt sich gerade die Metropole oder „Weltstadt“ als Form, die in ihrem Bedürfnis erkennbar wird, die gesamte Welt an einem Ort zusammenzuziehen, modellhaft abzubilden und zu repräsentieren. In ihrem Universalitätsanspruch sucht sie die Omnipotenz dessen zu demonstrieren, der nicht zum Berg geht, sondern diesen zu sich kommen lässt.
Die Weltstadt Um diesem Anspruch gerecht zu werden, muss die Metropole alle Typologien der Welt in sich aufnehmen und abbilden. So gehört zu jeder Weltstadt obligatorisch das „Chinese Quarter“, das „Quartier Latin“ oder der arabische Markt, um den Kontinenten nicht nur eine Repräsentanz, sondern auch eine modellhafte Nachbildung, eine lebendige Miniatur ihres Originals zu geben. Der koloniale Gedanke des Imports, in dem die jeweiligen Kulturen, Praktiken und Gegenstände ihres ursprünglichen Kontextes enthoben ein reservatähnliches Leben in der Fremde führen, betont auch den Aspekt der Beherrschung und Akkumulation, der Musealisierung und Nutzbarmachung dieser Dinge.
Die Weltstadt zeigt Tendenzen, die Ethnien, Traditionen und Praktiken der Weltbevölkerung zu isolieren und in sich auszustellen. Sie ähnelt darin den Museen wie auch den Sammlungen, in denen nationale oder lokale Kolorite zwar vorhanden, aber nicht mehr aktiv sind.
Die Viertel, in denen sie geduldet werden, werden – wenn sie exotisch genug anmuten – durch touristische Nutzbarmachung in den kapitalistischen Verwertungskreislauf integriert und auf diese Weise gesellschaftlicher Kontrolle unterstellt. In Kreuzberg wurde der weitere Zuzug von Türken staatlich überwacht, um zu verhindern, dass sich hier eine Ethnie an fremdem Ort autonom und unkontrolliert selbst reproduziert. Der von staatlicher Seite forcierte Integrationsdruck ist ein Symptom der Befürchtung, dass sich hier eine autonome Zelle fremdreligiöser Prägung im Herzen der christlich-westlichen Metropole etabliert und einen exterritorialen Raum schafft. Das touristisch verwertbare türkische Viertel ist gewünscht als inszenierte, modellhafte Darstellung eines „Little Instanbul“, nicht aber als aktiver Lebensraum.
Das große Glas Der globale Warentransfer ermöglicht in gesteigerter Form diese Abbildung der ganzen Welt an einem Ort.
Die Warenhäuser, die die Ordnung und Organisation wie auch die Techniken der Bildproduktion und Dekontextualisierung von der ökonomischen Gesellschaft, ihren Instituten und Archiven übernommen haben, sind universelle Schnittpunkte der ökonomisch verwertbaren Spitzenprodukte der weiterhin unterschiedenen Gesellschaften. Der Formenkanon der isolierten Räume und dekontextualisierten Gegenstände zieht sich vom Museum durch die Einkaufsparadiese bis in die Gehege der Zoos und Rabatte der botanischen Gärten. Die Prozeduren der Sortierung, Katalogisierung und Disziplinierung wenden sich universal auf alles an, ob Dinge, Menschen, Flora oder Fauna. Auf dem Grundriss der Stadt arrangieren sie sich zu kulturellen Zirkeln, politischen Netzwerken und individuellen Beziehungsgeflechten, deren mutmaßlichem Masterplan die Matrix der ökonomischen Stadt zugrunde liegt. Die Stadt als große Vitrine, als großes Glas der Welt, das in sich alles in ihr befindliche aufnehmen, verdoppeln und fixieren muss. Die Metropole als Modell einer Welt, die unter den Bedingungen der Kultur funktioniert und der Herrschaft einer bedrohlichen Natur entrissen ist.
Natur So ist es für die Weltstadt unerlässlich, gerade die Natur als ihren Antagonisten in sich einzuschließen und zu verorten. Das ambivalente Paradigma von Ursprung, Bedrohung und Herkunft stellt den Hintergrund dar, vor dem sich die Kultivierung der Welt vollzieht. Die Naturbeherrschung und Ausschließung ihrer vom Menschen unkontrollierbaren Prozesse ist tiefer Urgrund der ordnenden Bewegungen der Kultur: Sie strebt die Angleichung dessen an menschliche Maßstäbe an, was außerhalb dieser liegt und ihm zur Bedrohung wird. Kultur richtet sich – immer ambivalent zwischen Angst und Bewunderung befangen – gegen die luxuriöse Überschwänglichkeit natürlicher Formen und die virulente Unübersichtlichkeit ihrer Wachstumsprozesse, wobei sie deren überbordende Potenz und Produktivität verehrt und zu imitieren sucht. Dem Luxus der stetig überarbeiteten Formen, dem einen unendlichen Reichtum artikulierenden Tod und der verschwenderischen Haltung des immer Neuen setzt sie die Ökonomie des Individuums, die Kanalisation natürlicher Prozesse und ihre Verwertung in der Akkumulation verschiedenster Werte entgegen.
Mit der fortschreitenden Kultivierung der Welt, die uns inzwischen bis in die dunklen Tiefen der menschlichen Psyche geführt hat, zeichnet sich ab, dass wir es weit über den städtischen Kontext hinaus nahezu nirgends mit Natur zu tun haben, sondern nur noch mit ihren kultivierten Formen, die eher unsere Vorstellung von Natur reflektieren denn das Natürliche an sich. Selbst an den äußersten Grenzen unserer Vorstellung arbeitet die Strategie der Reproduktion und Repräsentation.
Das Reservat erweist sich bei genauerer Betrachtung als Ort, an dem erst durch Ausschluss spezifischer Faktoren ein künstlicher Schutzraum entsteht, der weniger die von der Ausrottung bedrohten Arten schützt denn einen musealen Raum anlegt, in dem im ökonomischen Sinne die Natur als Reserve ihrer selbst akkumuliert wird. Das Reservat ist Diorama und Museum einer Natur, die ausgestorben ist.
Ähnlich verhält sich eine Typologie, die wir tatsächlich als Natürliches wahrnehmen. Das Naturschutzgebiet oder der Nationalpark, in dem der natürlichen Ordnung vorgeblich wieder Raum gelassen wird, funktioniert eben nur durch die Konstitution eines Ausnahmezustands.
Durch Ausschluss speziell menschlicher Einflüsse wird künstlich ein Territorium geschaffen, das exterritoriale Eigenschaften hat. Ähnlich wie im Lager sind hier die üblichen Gesetze des Menschen unter seiner Kontrolle außer Kraft gesetzt. Während an dem einem Ort die letzten faktisch wilden Flächen von ökonomischen Interessen aufgezehrt werden, bildet der Mensch sie andernorts wieder nach – unter seiner permanenten Kontrolle.
Die Stadt
Während diese Situationen künstliche Landschaften generieren, die wir als natürliche wahrnehmen, bilden im städtischen Kontext Gärten, Parks und speziell der Zoo die wesentlichen Typologien, mit denen wir Natur in die Weltstadt inkorporieren und sie im semantischen Raster der Stadt verorten, um sie als domestiziertes Bild ihrer selbst zu repräsentieren. Wir schließen Natur ein in den Zäunen des Gartens, hinter den Mauern des Parks, aber ganz speziell im Zentrum der Stadt. Wir umarmen, fixieren und bannen sie im Herzen der Gesellschaft, um die Möglichkeit auszuschließen, dass sie anderswo lebt: als ein unbändiges, entsetzliches, entgrenzendes und damit auch erotisches Wildes.
Die Weltstadt integriert Natur, um sie dort durch Einschluss auszuschließen.
Indem sie rhetorisch in den Subtext der Stadt aufgenommen wird, erscheint die Natur assimiliert und konsensfähig. Allein ihre auffällige Heterogenität und die isolierte Lage ihrer Orte geben noch Aufschluss über ihren bisherigen prekären Inhalt. Im Prozedere dieser Ausschließung spielt die Verortung eine wesentliche Rolle: Durch die Zuweisung einer präzisen Lokalisierung kann Natur fortan nur noch an dem ihr eingeräumten Ort existieren und folglich nirgendwo anders – als ein domestiziertes, gebändigtes Natürliches, das seine wilden Formen negiert und ausschließt. Die Ordnung bannt das Bedrohliche und erlaubt uns, unsere Aufmerksamkeit auf das Naturschöne zu richten. Die Differenzierung in die gute, nützliche, schöne (und als solche ökonomisch nutzbare) Natur und das bedrohliche Wilde, das in Folge dieser Operation fortan als Unform diffamiert werden kann, klassifiziert und begrenzt das luxuriöse Wachstum der omnipotenten Natur und ihre bedrohliche Unübersichtlichkeit. Ganz im Sinne der Stadt fügt sie sich ein in eine Struktur überschaubarer, repetierter Größen, Kategorien und Ordnungen. Botanische und zoologische Gärten wie auch naturhistorische Museen bilden Archive, in denen die überbordende Formenvielfalt der Natur der Ordnung wissenschaftlicher Erkenntnisbeschaffung, Analyse und Akkumulation unterstellt wird.
Die Ausschließung der Natur durch ihre Einschließung in der Stadt verweist auf die politische Komponente dieser Operation: Während in Wunderkammern und Museen Natur fragmentiert und dekontextualisiert präsentiert wird, erscheinen uns Gärten und Parks als ganz natürlich und nahezu als Schutzraum. Wo früher die Differenz und Unmöglichkeit der Verbrüderung die gewaltsame Unterwerfung der Natur bedingte, assimiliert unsere Konsensgesellschaft jeglichen Unterschied in der brüderlichen Umarmung. Das irreduzibel Fremde, das sich dieser Prozedur der Angleichung zu entziehen droht, wird unmerklich umbenannt, in der Gesellschaft eingeschlossen und verkapselt. Der Garten, der Park und der Zoo erscheinen uns folglich als Orte der Natur, obwohl sie in der Stadt künstliche Interpretationen derselben darstellen. Sie bilden dort trotz ihrer Transkription Einschlüsse und Kontradiktionen, die ihr städtisches Umfeld subtil zu kommentieren vermögen.
In diesen drei wesentlichen Typologien legt die Gesellschaft ein sprachliches Muster zugrunde, das in der Stadt den Gebrauch von Natur dekliniert. Während der Garten den individuellen Vorstellungen von Natur und ihrer Interpretation Raum gibt, repräsentiert der Park die jeweilige über die Zeiten hinweg geänderte Vorstellung vom Naturschönen der Stadtgesellschaft. Im Park findet jene Choreografie Raum, in dem sich die Stadt über eben diese Haltungen unterrichtet. Der Park ist ein Ort, an dem sich die Perspektiven über die Zeit hinweg verschneiden und verräumlichen. Der Zoo schließlich ist die große und universale Typologie, in der die gesamte Welt der Flora und Fauna an einem Ort zusammengezogen, eingeschlossen und repräsentiert wird. Kann man sich eine Weltstadt ohne zoologischen Garten denken? Er ist der Ort, an dem ihr Prinzip mit einem unterschwellig vorgetragenen globalen Kolonialmachtanspruch am deutlichsten dargestellt ist und an dem sich die Stadtgesellschaft jeden Sonntag ihrer Omnipotenz versichert.
Der Garten
Der Garten repräsentiert in seinem Ursprung bereits die Idee einer Welt in der Welt: Im persischen Garten entspringt in der Mitte ein Fluss, der sich in die vier Himmmelsrichtungen teilt. Im Christentum entwickelt er sich als paradiesische Welt in der Welt, als eingefriedeter (sprich befriedeter) Ort, der eben vor den Ambiguitäten der natürlichen Welt geschützt ist. In ihm liegt bereits der durch Gott sortierte, geordnete und klassifizierte Auszug des aus menschlicher Perspektive Naturbesten vor. Im Modell der guten Welt lebt der Mensch hier integriert in der Natur. Erst im Sündenfall, in dem er sich die schöpferische Kraft des Wissenden und damit die geheime Matrix einer ambivalenten Natur aneignet, verlässt er diesen Ort, den er fortan zu rekonstruieren sucht: Die Gärten sind Ruhepunkte und Erholungsort, eingefriedete Individualparadiese außerhalb der ambivalenten Betriebsamkeit und Zeugungskraft der Städte und ihrer Produktionsökonomien
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Armengarten, Arbeitergarten
Gerade während der Industrialisie-
rung wurde diese Funktion des Privaten im Garten zur gesellschaftlichen Befriedung genutzt. Die Entfremdung der Arbeiter in den
Fabriken und an den Produktionsstätten, aber auch in den unmenschlichen Wohnquartieren führten bald zu ungewünschten Nebenwirkungen: Von den Weberaufständen bis zu den Kämpfen der Arbeiterbewegung zeichnete sich eine Schwachstelle der industriellen Produktion ab, bei deren Entschärfung der Garten eine nicht unwichtige Rolle spielte. Um der Entfremdung entgegenzuwirken, wurde den Arbeitern bald solches Land offeriert, das für Gutsherrn und Administration ohnehin ein Verwaltungsproblem darstellte: Landstriche entlang der Bahnlinien, Verkehrswege oder städtische Restflächen wurden ihnen kostenfrei als Gartengrundstücke angeboten, die sie privat nutzen konnten. Das Prinzip dessen, was als Armen- oder Arbeitergarten („allotment garden“) in England und in Deutschland auch als bürgerliche Version im „Schrebergarten“ bekannt wurde, hatte nicht nur den Zweck, eben dieses Land unter kostengünstige Kontrolle zu bringen und unerwünschte Nutzungen auszuschließen, son-
dern auch die offen zutage tretenden Aggressionen der Arbeiter gegen die unmenschlichen Arbeitsbedingungen und die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft zu dämpfen, indem es ihnen eine symbolische Teilhabe an der Stadt und einen privaten Rückzugspunkt anbot. Die Arbeitergärten gaben den Betroffenen das Gefühl des Familiären zurück, das in der industriellen Stadt bis dahin noch nicht repräsentiert war.
Mit dem Garten konnten sie nicht nur ihren mageren Speiseplan aufbessern, sondern auch ihre individuelle Idee eines befriedeten Ortes verwirklichen und den Wohnungen, in denen oft mehrere Familien auf engstem Raum hausten, eine Alternative entgegensetzen. Der Garten entwickelte sich zum romantischen Vorstellungsraum der kleinen Träume einer ausgehungerten Arbeiterschaft. Seine Beschaffenheit reflektierte wiederum das Bild der befriedeten Welt: Quelle und Naturschönes kamen genauso in jedem Garten vor wie die Hütte als Hausmodell und das Nutzpflanzenbeet nebst Komposter als ökonomische Abteilung. Der Garten wurde zur Welt in der Welt, zum individuellen Paradies im Herzen der Stadt. Je nach Zeitenlage stellt er sich als Nutzgarten, als rigide organisierter Ziergarten oder als wild-romantische Miniatur des englischen Landschaftsgartens dar. Immer aber bleibt er modellhaft und komplex auf kleinstem Raum.
Schreber
Auch der Schrebergarten reflektiert heute noch in seinen manchmal rigiden Aufteilungen die verschiedenen Bedürfnisse, die das private Paradies erfüllen sollte. Seine systematische Ordnung zeigt nicht nur den bürgerlichen Willen, die überbordende Natur (wie auch den Gärtner) in die Schranken zu weisen, sondern verbindet sich mit dem Aufkommen der Disziplinargesellschaft.
Entgegen vielen Vorstellungen hatte ihr Namensgeber Daniel Moritz Gottlieb Schreber (1808–1861) nichts mit den Gärten zu tun. Der sportbegeisterte Pädagoge und Gymnastiklehrer wurde eher durch seine brachialen Erziehungs- und Leibesertüchtigungsgeräte wie den „Schreberschen Geradhalter“ bekannt. Etwa drei Jahre nach dessen Tod initiierte sein ehemaliger Mitarbeiter Ernst Innozenz Hauschild die Errichtung des ersten öffentlichen Kinderspielplatzes in Leipzig und benannte diesen nach Schreber. Am „Schreberplatz“ fand sich ein beaufsichtigender Lehrer ein, der seine Zeit mit den Kindern dazu nutzte, kleine Lernbeete anzulegen. Da Kinder naturgemäß eher ungeduldig sind, was nur schlecht mit dem langsamen Wachstum von Pflanzen vereinbar ist, übernahmen bald die Eltern die kleinen Beete. Ganz anders als bei ihren Zöglingen, nahm deren Interesse am Garten schnell expansive Ausmaße an, so dass der Platz bald gänzlich von Kleingärten belegt war. Auf diese Weise übertrug sich der Name vom Schreberplatz auf das hier begründete Gartenmodell.
Heute wird der Paradiesgarten im städtischen Umfeld durch zahlreiche illustre Formen repräsentiert. Besonders die die Eingänge
der Einkaufszentren flankierenden, obligatorischen Bäume mar-
kieren die Warenhausketten und Shopping-Center in Anlehnung
an die Paradiespforte als Ort, an dem nahezu alles und (fast) um-
sonst zu haben ist. Das Paradies als ökonomisches Wunderland, an dem sich die Welt trifft, um in friedlichem Miteinander globaler
Warenökonomien den Zustand irdischer Glückseligkeit im Dauershopping zu erfahren.
Der Park
Während die privaten Gärten einer individuellen Interpretation Raum geben, repräsentiert der Park die aktuelle Auffassung der Stadtgesellschaft von Natur im historischen Kontext. Natur als Inszenierung – der Park führt uns unbemerkt entlang einer nahezu filmischen Choreografie von Wegen, zeitlichen Intervallen und bildhaften Sequenzen durch unser jeweiliges Idealbild einer domestizierten Natur. Hier gehen, dort stehen, auf der Bank in der Betrachtung verweilen, hier in sich gehen, sich dort in der Weite des Blicks verlieren: Wege, Sitzgelegenheiten, freigestellte Blickbeziehungen, bereitgestellte Attraktionen und verborgene Sequenzen bilden ein sprachliches Repertoire, das den Park als Parcours inszeniert.
Langgestreckte Wiesen, Skulpturen, Rabatte und Hecken artikulieren, akzentuieren, terminieren und dramatisieren die dargestellten Haltungen zu einer Choreografie, entlang derer der Besucher subtil geführt den Ausführungen des Architekten folgt. Im Park wird Natur zum filmischen Ereignis, in dem der Betrachter das Epizentrum bildet. Wie in einem Theaterstück arrangieren sich die Dinge unbemerkt um seine Figur, die unsichtbar im Mittelpunkt steht. Der Mensch als Maß aller Dinge, die Stadt als das strukturelle Raster, auf dem sich seine kultivierenden und disziplinierenden Maßnahmen vollziehen: Im Park wie auch im zoologischen Garten erklären wir Natur nicht durch sich selbst, sondern durch kulturelle Zeichen.
Dabei reflektieren die Parks durch die Jahrhunderte die jeweils politischen Formationen der Gesellschaft. Im barocken Garten wird Natur als Ausdruck der souveränen Macht dem Diktat der menschlichen und mathematischen Form unterworfen und reißbrettartig inszeniert. Er inszeniert den Kampf Natur versus Kultur ganz offensichtlich und konfrontativ, bildet ihn formal als Display ab und deklariert darin den Sieg der Menschheit. Im englischen Landschaftsgarten wird dagegen der Beginn einer sich subtil verbergenden Macht reflektiert, die im Hintergrund agiert, arrangiert, ordnet und kontrolliert. Die scheinbare Natürlichkeit der Gärten und Parks entwirft diese als entschärftes und befriedetes Diorama, das modellhaft erscheint. Der Mensch bewegt sich souverän durch die ihrer Wildheit beraubte Wildnis und verschleiert den Urkonflikt im nahezu realistischen Modell einer domestizierten Natur.
Während die Darstellung des Konflikts als „Display“ und rhetorische Form dem radikal Anderen seine Fremdheit lässt, um es aus der Gesellschaft auszuschließen, imitiert das „Modell“ als Strategie das Fremde, um es zu integrieren, zu assimilieren und letztlich zu ersetzen. Diese zwei großen Handlungsstränge machen deutlich, wie nahezu analog sich die Positionierungen gegenüber der Natur zum politischen Handeln vollziehen und seine Systematiken, wenn nicht bestimmen, so doch mit ihm wesentlich korrespondieren.
Im städtischen Kontext kann man grob zwei Typen des Parks unterscheiden: Während sich der private oder halböffentliche Park das Verhältnis zur Natur zum Thema macht und es subtil im Dialog mit dem Besucher verhandelt, ist der öffentliche Park merkwürdig unbesetzt. Seine Determinierung als Repräsentation von Natur im städtischen Kontext verankert ihn zwar klar im Werteraster der Stadt, doch tritt diese Bedeutung mit der Entfremdung von der Natur zunehmend zurück. Der öffentliche Park vermag wegen seiner nutzungsbedingt rudimentären Flora und Fauna und der latenten Desensibilisierung der Stadtgesellschaft gegenüber der Natur nicht mehr sie an sich zum Thema zu machen, so dass er als nicht weiter determinierter Freiraum wahrgenommen wird. Die zurückgedrängte Natur im Park wird zum Inhalt ohne Inhalt, zur rein strukturell gefassten Fläche, zur leeren Bühne des Parks, auf der die Stadtgesellschaft ihre Diskurse frei inszenieren kann.
Damit gewinnt der städtische Park an politischer Bedeutung. Er könnte einer der letzten öffentlichen Räume sein, die verhalten im Schatten ökonomischer und politischer Interessen liegen. Durch die Aufhebung der sonst auffälligen Zweckbindung des städtischen Raums, die den Bürger meist als potenziellen Kunden und Konsumenten adressiert, verknüpfen sich hier soziale, politische und private Interessen in angenehmer Weise mit Erholung, Vorlieben und Müßiggang. Vor inszenierten Dioramen, an öffentlichen Orten und geheimen Plätzen werden die Beziehungen von ethnischen, kulturellen und religiösen Gruppen, von Bürgerschaft, versteckter Anarchie und Establishment genauso formuliert wie das Verhältnis von Stadt, Natur und Kultur. Mitten im Zentrum etabliert der Park einen „anderen Raum“ und kommentiert als solcher subtil sein städtisches Umfeld. Er nutzt die offene Position und seinen modellhaften Charakter, um als sich selbst regulierender Raum einen subtilen Gegenentwurf zur überregulierten Stadt einzuspeisen. Insofern nähert er sich als offener Raum der Stadtgesellschaft wieder der Bedrohlichkeit der Natur an: ein von außen kaum regulierter, unübersichtlicher Ort im Herzen der Gesellschaft, an dem sich alle Gruppen und Interessen überschneiden und treffen, die sonst in den Stadtvierteln getrennt, sortiert und systematisch angeordnet sind.
Der Zoo
Das Modell als Werkzeug der Repräsentation spielt für die Metropole oder Weltstadt eine wesentliche Rolle. Ganz wie in den Träumen einer kolonialbürgerlichen Gesellschaft, die im Park des ausgehenden 19. Jahrhunderts Pflanzen aus aller Welt in einem botanischen Exotismus sondergleichen versammelte, um wiederum die (Natur-)Welt an einem Ort im „Weltengarten“ abzubilden, stellt die Weltstadt eine Agglomeration verschiedenster Typologien und Modelle dar, die im strukturellen Grundriss der Stadt arrangiert, akkumuliert und untereinander in Beziehung gesetzt werden.
Die universale Typologie könnte dabei der zoologische Garten sein. Vielleicht ist er das ultimative Beispiel einer Ausschließung durch Einschließung und gleichzeitig eine der komplexesten Heterotopien. Neben seinem Anspruch, alle Typen von Flora und Fauna der ganzen Welt an einem Ort zu versammeln – ein romantischer Traum ebenso wie ein kolonialer Weltmachtanspruch –, changiert er ständig zwischen den enigmatischen Paradigmen des Gefängnisses, des Reservats und der Arche. Während am Anfang die Käfige nicht gewaltig genug erscheinen konnten, um sowohl die Kraft des Tieres wie auch die seines Bezwingers theatralisch zu artikulieren, verschwinden sie heute nahezu vollständig im sogenannten Immersionsgehege, das in hyperrealistischer Form ein Naturszenario nachstellt. Während die Tiere im klassischen Käfig oder „Zwinger“ offensichtlich eben bezwungen, bildhaft freigestellt und somit dekontextualisiert, arrangiert und ausgestellt waren, wirken sie in ihren heutigen floral aufgewerteten Gehegen, als wollten sie gar nicht mehr entkommen: Der wilde Gefangene findet sich unversehens dargestellt als hilflose Kreatur unter der gnädig schützenden Hand eines listigen Humanismus. Das bedrohliche Wilde findet sich transkribiert in das schutzbedürftig Natürliche, der Bezwinger umgedeutet als Samariter – der Käfig wandelt sich unversehens vom Gefängnis zur Arche.
Kultur
Offensichtlich versuchen wir im Zoo wie in Gärten und Parks Natur durch kulturelle Zeichen zu erklären. Die Dioramen, Szenarien und Inszenierungen reproduzieren Natur als Stereotypen menschlicher Vorstellungsrhetorik. Im Zoo wird deutlich: Künstliche Bäume, Felsen aus Beton, Kunststoffpflanzen und vollkommen abstrakte Szenarien wie Autoreifen, Seile und Fliesen als Surrogat der Dschungelvegetation erscheinen uns nahezu natürlich, weil sie die menschliche und kulturelle Zeichenterminologie benutzen. Es fällt uns leicht zu akzeptieren, dass Tiere in Häusern leben, die unserer Vorstellung von der Architektur ihres Heimatlandes entsprechen. Im Zoo ist nicht Natur das Objekt der Betrachtung, sondern etwas, das in eine kulturelle Sprache übersetzt wurde, etwas, das assimiliert wurde in der Prozedur der Kulturalisierung. Er reproduziert Natur als lesbares und konsumierbares Objekt. In diesem Sinne steht im Zoo wie im Garten und Park nicht Natur im Fokus des Interesses, sondern die menschliche Kultur und ihre Prozeduren an sich.
Die Ware
In seiner heutigen Dimension entspringt der zoologische Garten den kolonialen Vorstellungen genauso wie den wissenschaftlichen Instituten und Museen. Er hat seinen Ursprung aber nicht nur in den Menagerien der botanischen Gärten. Die ersten Gehege waren nicht die Volieren der französischen Barockgärten, sondern die Käfige der vagabundierenden Schausteller auf Jahrmärkten und Stadtfesten, die Natur in Form exotischer Tiere zur Unterhaltung feilboten. In Deutschland entstand der erste Zoo aus einem Leipziger Biergarten, dessen Besitzer ein gesteigertes Interesse an Raubkatzen hatte und diese dem Bier zur Unterhaltung hinzugesellte. Jener Zoo und seine Gehege mit den sich in langen Reihen spiegelnden und reproduzierenden Käfigen war auch als „Raubtierfabrik“ bekannt – ein rhetorischer Reflex der Vervielfachungen des industrialisierten Produktionsprozesses. Natur wird konnotiert als Ware innerhalb der Ökonomie der industriellen Produktion. Eine weitere Analogie unterstreicht diesen Charakter von Natur im städtischen Kontext: Die Raubtierkäfige entwickelten sich in ihrer Formensprache analog zu den Schaufenstern der gleichzeitig entstehenden Warenhäuser. Natur wird in ihnen nicht nur dekontextualisiert, musealisiert und ausgestellt, sondern auch und gerade zur jederzeit verfügbaren Ware deklariert.
VÖlkerschau
Dass sich diese Urbarmachung weiterer Bereiche für die kapitalistische Produktion und Kolonialisierung gesellschaftlicher Themenfelder bis zum Äußersten entwickeln sollte, ist durch die sogenannten Völkerschauen dokumentiert, in denen ganze Dörfer nebst Bevölkerung in Zoos und Weltausstellungen präsentiert wurden. Die Übertragung des semiwissenschaftlich-zoologischen Unterhaltungsbetriebs auf die Menschen der Kolonien subsumiert diese nicht nur unter dem Begriff der Tierwelt, sondern auch dem der Ware. Natur und alles unter ihrem Begriff versammelte wird als solche verfügbar und herangezogen zur Unterhaltung der Stadtgesellschaft. Das Bürgertum traf sich am Sonntag im Biergarten vor dem Prospekt einer globalen Natur, in der auch die Völkerschauen Station machten, um sich seiner kolonialen Omnipotenz zu versichern.
Exoten
Wie schon angedeutet, spiegeln sich Warenhaus und Zoo in der Architektur gegenseitig in ihrer Funktion der Transkription und Subsumierung autonomer Dinge unter der Gesetzmäßigkeit der Warenökonomie. Wo asiatische Pagoden und indische Tempel die Güter ferner Länder im globalen Kolonialwarenladen der Kaufhausketten anpreisen, werden im Zoo die Welten versammelt. Die stilistische Angleichung fremder Kultursprachen an den heimischen Verständnishintergrund führt zu Exotismen der Sonderklasse, wie sie auch die Schaufensterdisplays von Kaufhäusern kennen. So besteht zum Beispiel ein afrikanisches Haus im Berliner Zoo aus marokkanischen Minaretten, griechischen Säulen und einem deutschen Sheddach. Dass dieser Hybrid nichts mit Afrika zu tun hat, wohl aber mit der europäischen Vorstellung vom „schwarzen Kontinent“ (und insofern vom Europäer als „afrikanisch“ gelesen werden kann) erhält noch einen zusätzlichen merkwürdigen Beigeschmack, wenn man bedenkt, dass der Zoo – neben dem Aspekt der Unterhaltung – einen wissenschaftlichen Anspruch an sich selbst hat. Die Verschneidung höchst disparater Ansprüche und Vorstellungen an diesem Ort, der eingeschlossen von der Stadt die ganze Welt in sie hineinprojiziert, macht ihn zu eben dieser komplexesten, untergründigsten und aufschlussreichsten Heterotopie in der Metropole und zum subtilen Spiegel der Operation Kultur vs. Natur an sich.
Stadt Aktuell
Diese wesentlichen Typologien spiegeln sich in der heutigen Großstadt in mannigfaltigen, unendlich gebrochenen, fragmentierten und adaptierten Formen wieder. Ein Rundgang durch die Stadt vor diesem Hintergrund zeigt Balkonbiotope und Baumscheibengärten, Heimtiermärkte und Schaufensterdisplays, Parkarchitekturen und Straßenbegleitgrün, Buchsbaumpforten und Parkschutzpoller im Kontext einer mosaikartig in der Stadt aufgelösten Repräsentation von Natur. Die Funktionshaftigkeit ihres Einsatzes zeichnet gerade ihre Domestizierung im Wert der Ware auf. Wo der Zoo und der botanische Garten noch klar als einschließende Ausschließung im exterritorialen Terrain, umgeben von Mauern erkennbar sind und ihr städtisches Umfeld subtil kommentieren, verschwindet die Natur im städtischen Raum in der Assimilation an die Ware nahezu gänzlich. Sie verliert sich im sprachlichen Zeichen, das im Subtext der Stadt aufgeht und Natur unmerklich in sie einschreibt. So unterrichtet sie unbemerkt den Menschen ständig von der Angleichung des Natürlichen an und durch das Kulturelle, vom großen Sieg, der aus der Stadt die Bedrohlichkeit einer Natur getilgt hat, die sein Selbstverständnis permanent in Frage stellte. Mit ihr taucht das radikal Andere, das verführerisch Abgründige, das unkontrollierbar Entgrenzende kurzfristig unter und verschwindet aus dem Fokus der Stadtgesellschaft. Sich hier elegisch in eine naive Naturwahrnehmung zu flüchten, erscheint unangebracht. Das „Andere“ – und das ist sicher – taucht immer an unbekanntem Ort zu unbekannter Zeit überraschend wieder auf: vielleicht als unbändig Fremdes, dessen Sprache wir vergessen haben und mit dem es keine Kommunikation gibt. Vielleicht in Form der neuen multiresistenten Bakterienstämme in den angeblich aseptischen Belüftungsschächten der Krankenhäuser oder als „böse“ Immigranten, die als „Neophyten“ und Überlebenskünstler das heimische Reinheitsgebot attackieren.
Vielleicht auch in Form der Füchse in der Innenstadt, die die temporären Brachen der Ökonomie zwischen den nahtlosen Bebauungsketten besiedeln, oder einfach in Form des zum „Un“ gewordenen Kraut in Nachbars Garten, das trotz Round up und Schrebergesetz aus den Ritzen der Gehwegplatten quillt und sich bisher durch keine Verordnung hat verbieten lassen.
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