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Annelie Pohlen
Was, bitte schön, heißt hier Durchgang Verboten? The Park is mine!

In den 60ern kursierte ein alter Witz über die Unfähigkeit der Deutschen zur Revolution. Sie kamen einfach immer zu spät, weil sie die von wem auch immer verhängten Durchgangsverbote respektierten, die auf Rasenflächen ebenso wie die auf Bahnsteigen, für die früher ein Zugangsticket zu lösen war.

Inzwischen sind die Tickets für Bahnsteige verschwunden, und wo Verbotsschilder noch auf öffentlichen Rasenflächen stehen, nimmt sie kaum jemand wahr. Wo eine wachsende Gesellschaft reicher und neureicher Privatleute die einst selbstverständlichen Zugänge zu elementaren Freiräumen versperrt, wird protestiert und prozessiert, was den Medien zu allerhand kostenfreien Zugang in die Schutzzonen der Reichen und Schönen verhilft.

Wo, bitte schön, darf man nun durch und wo nicht? In den Städten bieten allerhand Passagen kostenlose Abkürzungen im öffentlichen Raum – mit dem durchaus plausiblen Hintergedanken, die zufälligen Nutzer vor die Auslagen der natürlich kostenpflichtigen Waren zu locken. Über private und öffentliche Räume in der Stadt denkt kaum einer mehr nach. Minimale Absperrungen überwindet der Voyeur lustvoll, da nichts schöner ist als der – wenn auch flüchtige – Blick in fremde Privaträume. Was die privaten und die öffentlichen Parks in den historischen Städten angeht, sind die Grenzen ohnehin nicht immer auf Anhieb erkennbar. Das gilt nun auch für jenes Territorium, auf dem ausgerechnet eine Vereinigung von Künstlern, die sich doch sonst ihren aufsässigen Geist zugute halten, den Zugang eingeschränkt hat.

Die von der 68er Generation praktizierte Erprobung neuer Arbeitsfelder jenseits der öffentlichen Institutionen ist ein bis heute unerledigter Prozess. Doch, anders als die bisweilen aggressiv selbstgewissen Vorläufer zieht Markus Ambach mit Künstlerkollegen zunächst in seinen privaten Garten – wo verständlicherweise nicht jeder Zutritt hat. Weswegen man diese „Praxis“ – Institutionskritik hin oder her – wohl auch als stressfreie und vergnügliche Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle, den Kapazitäten, Visionen und Grenzen künstlerischen Handelns wird verstehen dürfen. Ob zunächst intendiert oder nicht, am Tatort gerät der Garten selbst ins Visier. Hinter dem Gartenzaun startet der Parcours der freien Kunst in die Vorstellungen vom Sein oder Nichtsein der freien Natur. Die kreativen Hobbygärtner ziehen weiter, wohl wissend, dass der Privatgarten mit der freien Natur so wenig zu tun hat wie der Stadtraum mit der freien, der öffentlichen Gesellschaft.

Was verbindet die Stadt mit der Natur, warum holen sich seit Jahrhunderten Privatpersonen wie juristische „Körperschaften“ die Natur, aus der sie doch der befreienden Luft wegen in die Stadt geflohen sind, in ebendiese zurück? Ist in der Zivilisationsgeschichte nur etwas schief gelaufen? Sicher, zunächst bleibt die Natur außen vor – bis sich die, die in der Stadt den öffentlichen Raum zum eigenen Nutzen Schritt für Schritt okkupieren, ihr Naturmodell zulegen, es pflegen und hegen, als ließe sich über Blickachsen und Baumkronen eine Passage in Modellbilder von natürlichem Leben öffnen. Die öffentliche Gesellschaft zieht mit und konkurriert in Stadtgärten und Alleen um die schönsten Durchblicke auf freie und friedliche Existenz im Grünen. Das Picknick im Grünen zählt inzwischen zum Normalfall. Da mangels sonstiger Freiräume die verbliebenen Warnschilder ignoriert werden, mutieren öffentliche Parks gelegentlich zu den schönsten Mischformen von Sportarenen und Kinderspielplätzen mit reichlich Kommunikationsraum für alle irgendwie aus der gesellschaftlichen Kommunikation ausgeschlossenen Sonderexistenzen.

Gelegentlich tauchen dort auch Künstler auf, diese aber meist im Auftrag der insti utionalisierten Öffentlichkeit gewissermaßen zur Fortschreibung der Kunst im öffentlichen, im weitgehend zugebauten Raum, wovon auch Markus Ambach, ob als Künstlerindividuum und/oder Projektautor an verschiedenen Stellen profitiert hat.

Erweitert man die Brennweiten der Wahrnehmung, dann ließen sich die öffentlichen Parks als eine Form von kostenfreiem Freiluftgehege und die privaten Parks als eine Form von kostenpflichtigem Zoo zur verbotsfreien Passage in die schönsten Spekulationen über natürliche Existenzen im öffentlichen Raum vorstellen. Dass Prominente sich gelegentlich das Bild vom Zoo ausleihen, um sich über die nicht zahlenden Voyeure zu beklagen, liegt auf der Hand.

Da nun der Jacobigarten derart gelegen ist, dass man ihn für einen Teil der öffentlichen Grünanlagen hält, die man zwischen Hofgarten und Pempelforter Straße in die eine oder andere Richtung allenfalls durch ein paar Straßen verzögert problemlos durchstreift, versucht der eine oder andere Ortsunkundige eine Abkürzung durch die Büsche. Vergeblich, da ist immer wieder der Zaun. Man erhascht hier und da einen Blick auf den skulpturalen Zierrat, der in herrschaftlichen Anwesen zum Standard zählt, und eher seltener auf Gegenstände, von denen man der nutzlos herumstehenden Absperrungen wegen nicht so recht weiß, ob da irgendetwas nicht fertig auf- oder abgebaut oder gar im Wasser und sonst wo gelandet ist und niemand Lust hatte, es da wieder wegzuräumen.

Man möge mir diesen Schlingerkurs verzeihen, sind doch verbotene Durchgänge allemal dazu angetan, über Umwege dann doch noch auf ein Gelände zu gelangen. Sollte gar ein Projekt, das den „Parcours interdit“ von 2007 bis 2009 drei mal mittels verführerisch schöner Poster am Gartenzaun in Anschlag bringt und damit eben das tut, was öffentliche Institutionen auch tun, um Publikum in ihre Veranstaltungen – hinter der Kasse - zu locken, als eine subtile Form der Subversion allseits gängiger Normierungen zu verstehen sein? So ließe sich auch noch die Nutzung der geläufigen „Parcours interdits“ für diese Aufführung in drei Akten instrumentalisieren, ist doch auch in Freilichttheatern der Zutritt nur noch in den seltensten Fällen umsonst.

Indes, verboten oder nicht, im Jacobipark steht ein anderes Bühnenstück auf dem Programm: jenes der „second nature“ einer Kunst, die mehr sein will als schönes Möbellager zur Ausstaffierung öffentlicher oder privater Räume. Wenn denn der Park weniger Natur denn urbanes Modell ist, wenn nachweislich gar Bienen ihren produktionswichtigen Rohstoff zwischen Bankentürmen finden, warum dann nicht alles, was jenseits des Gartenzauns in der Stadt geläufig ist, hineinholen in die grüne Idylle? Die bei Stadtplanern üblichen Kurvenlineale posieren schon – mächtig vergrößert – in und an den schönsten Züchtungen der Parknatur. Warum nicht Rasen und Bäume mit Tatoos verzieren statt immer nur irgendwelche Körperteile? Warum nicht vom „Frühstück im Grünen“ über eine kostenlose Zwischenmahlzeit mit Künstlerkoch gleich weiter zur Minibar mit allerhand Events zwischen Bastelanleitung und elektronischem Soundmix?

Die herumliegenden „Quilts for the heart“ sind so schön, dass man deren ausgegrenzte Nutzer schwerlich vermisst. Die großflächige Werbung für Feldküchen und die herumfliegenden Protestschilder wird man irgendwie aushalten. Sicher, die zu Monsterskulpturen aufgeblasen Friedhofsvasen stören die schönen Sichtachsen, vor allem für die bessere Gesellschaft auf der Restaurantterrasse. Und auch das Geknatter von Maschinengewehren aus dem an der Parkbank seltsam „deplatzierten“ oder vergessenen Koffer stört die Ruhe. Gemütlicher sind die leise tickenden Bomben an den schon einmal erwähnten Bahnsteigen aber auch nicht.

Die in Gärten der besseren Wohnviertel wie in den zu Balkonkästen geschrumpften Gartenidyllen längst geläufigen Musterbilder aus Gartencenter Broschüren nisten sich geschickt in die Displays der bildungsbürgerlichen Lehrpfade. Zudem verleiht die aus der Soufflierkiste vorgetragene Farbenlehre Goethes, dem in Stein erstarrten Modell bürgerlicher Leitkultur, endlich einmal wieder Gehör zwischen all den von überall hereinströmenden Schallwellen.

Und außerdem, warum müssen Fundbüros immer irgendwo in der Stadt sein, wo doch längst überall etwas herumliegt, von dem man nicht weiß, ob es noch irgendjemand für seine Arbeit braucht, ob es verloren, vergessen oder bloß weggeworfen wurde wie die Partysticker vor der Restaurantterrasse? Wer dort verkehrt, genießt ohnehin freien Zugang – auch fürs Hochzeitsbild mit jenem etwas groß geratenen Luftballon, dessen kleinere Verwandtschaft in Fußgängerzonen erfolgreich als Werbeträger an der Hand von Kindern flaniert. Die Bühne kann Schwung aufnehmen oder stehen bleiben, die Revolution findet weder auf dem Rasen noch auf Wegen statt, sondern bestenfalls auf irgendeinem Parcours irgendwo zwischen Vorstellungs- und Alltagwirklichkeit vor und hinter den Zäunen und Kassen. Die natürliche Natur ist – auf welcher Bühne auch immer – eine Fatamorgana, für deren Imagination das schwarze Loch im satten Rasengrün noch reichlich Zeichentusche sprudeln lässt. Da treibt es den Ziereremiten aus der ihm vom fürstlichen Parkeigner zugewiesenen Grotte dorthin, wo sonst die Vögel mit den Blättern tuscheln. Da sorgen seine Botschaften nun für Durchzug in den Köpfen und luftige Plätze für obdachlose und sonstige unerwünschte Vorstellungen. THE PARK IS MINE und da mindestens dreht sich – Regeln hin oder her – eine Bühne für hintersinnige Parcours in der wohl irgendwo zwischen Stadt und Natur verlorenen oder schwer zu findenden „besten der möglichen Welten.“

 

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